Warum kommt die Regierungserklärung erst, wenn alles entschieden ist?

Der Nationalrat hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regierungsbildung (siehe Posting 3 und 9). Er kann weder Vorgaben für das Programm machen, noch kann er die Mitglieder der Bundesregierung bestimmen. Das war nicht immer so, von 1920 bis 1929 hat der Hauptausschuss des Nationalrates den Wahlvorschlag für die Bundesregierung erstellt und der Nationalrat darüber abgestimmt. Seit 1929 liegt das Recht der Ernennung der Bundesregierung allein beim Bundespräsidenten. 

In Österreich stellt sich die neue Bundesregierung erst nach ihrer Angelobung im Nationalrat vor. Das heißt auch, dass die für die Stabilität der Regierung so wichtige Unterstützung im Nationalrat vor der Ernennung nur vorausgesetzt aber nicht überprüft wird. 

Die Vorstellung im Nationalrat erfolgt im Rahmen einer Erklärung des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin. Danach findet eine Debatte statt, in der die Abgeordneten – je nach Partei – für oder gegen die Regierung sprechen. Eine Abstimmung über die Regierungserklärung (also eine Bestätigung des Regierungsprogramms oder eine ausdrückliche Vertrauensabstimmung) findet aber nicht statt. 

Die Abgeordneten können in dieser Debatte nur Entschließungsanträge einbringen. Das sind Anträge, mit denen der Nationalrat Wünsche an die Bundesregierung formuliert. Sie sind, auch wenn sie angenommen werden, aber rechtlich nicht bindend. Das heißt, die Bundesregierung muss diese Entschließungen nicht umsetzen. Eine besondere Form des Entschließungsantrags ist der Misstrauensantrag. Damit versagt der Nationalrat der gesamten Bundesregierung oder einem Mitglied das Vertrauen, und der Bundespräsident muss eine Entlassung vornehmen (siehe dazu unser Posting vom 27.5.). Die Möglichkeit, einen Misstrauensantrag einzubringen, ist ganz entscheidend für den „Vertrauenstest“ der neuen Regierung im Nationalrat. Daher ist es auch wichtig, dass Artikel 74 B-VG den Misstrauensantrag als „Entschließung“ regelt. 

Übrigens: Artikel 71 Absatz 3 B-VG sieht die Vorstellung der Bundesregierung ausdrücklich nur für den Fall vor, dass der Nationalrat gerade keine Tagung hat (also im Sommer). Dann muss der Bundespräsident den Nationalrat sofort einberufen. Verfassungsjuristen vertreten aber schon immer (und unbestritten) die Auffassung, dass eine Vorstellung auch während der Tagung (also jetzt) erfolgen muss. Ansonsten würde ja das parlamentarische System, in dem die Regierung immer eine Unterstützung des Nationalrates braucht, in Frage gestellt.