FREIHEIT

Die Geschichte der demokratischen Verfassungen ist untrennbar mit der Forderung nach Freiheit verbunden. Sie beginnt mit den Grausamkeiten der Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert in Europa. Unter ihrem Eindruck haben Menschen begonnen, darüber nachzudenken, was notwendig ist, um in Frieden zusammenleben zu können. Sie haben die Forderung erhoben, dass Menschen ihre eigenen Entscheidungen ohne die Einmischung von anderen treffen können, wenn es um eine der wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens – ihren Glauben – geht.

Ohne Furcht und Vorurteil

So stark in der Geschichte und in unserer Gegenwart nach Freiheit gerufen wird, so vielfältig ist das, was Menschen unter Freiheit verstehen. Die Philosophin Judith Shklar hat Freiheit so beschrieben: „Jeder erwachsene Mensch sollte in der Lage sein, ohne Furcht und Vorurteil so viele Entscheidungen über so viele Aspekte seines Lebens zu fällen, wie es mit der gleichen Freiheit eines jeden anderen erwachsenen Menschen vereinbar ist.“

Diese Überzeugung geht von ganz grundlegenden Erfahrungen aus, die überall auf der Welt geteilt werden:

  • Der Furcht vor Gewalt und Willkür, die Menschen lähmt und ihnen die Möglichkeit nimmt, ihr eigenes Leben und das Zusammenleben mit anderen zu gestalten.
  • Menschen fürchten sich vor Gewalt und Willkür, diese Erfahrungen lähmen sie und nehmen ihnen Möglichkeiten, ihr Leben selbst zu gestalten.
  • Menschen sind, zum Beispiel aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion, Vorurteilen ausgesetzt. Diesen Vorurteilen können sie oft nicht entkommen und ihnen auch nur wenig entgegensetzen.

In der Geschichte Europas waren diese Erfahrungen die Unterdrückung von Menschen, die einen anderen Glauben oder andere Ideen hatten als die Mächtigen. Es war die Willkür, mit der Herrscher ihre Untertanen behandelten. Diese Unterdrückung ging und geht heute noch meist von Staaten aus. Das Recht auf Freiheit steht daher im Zentrum aller modernen Verfassungen. Kein Mensch, der in einem Land mit einer demokratischen Verfassung lebt, soll sich vor dem Staat fürchten müssen. Alle die hier leben, sollen darauf vertrauen können, dass sie der Staat vor Gewalt schützt, und dass sie sich in seinem Rahmen entfalten können.

Grundlagen der Demokratie

Die Freiheit von Verfolgung, die Freiheit, seinen Glauben und seine politischen Überzeugungen selbst wählen zu können, die Freiheit seine Meinung äußern und sich mit anderen austauschen zu können, die Freiheit, sich zu versammeln und etwas fordern zu können – das sind die Grundlagen der Demokratie. Sie ermöglichen erst, dass alle Menschen ihre Ideen und Gedanken mit anderen teilen können, und dass die Lösung sozialer und politischer Probleme in öffentlicher Auseinandersetzung und Diskussion erfolgen kann. Ohne diese Grundlagen kann eine Demokratie nicht funktionieren.

Freiheit ist nicht schrankenlos

Freiheit bedeutet aber nicht, dass jeder Mensch tun und lassen kann, was sie oder er will. Freiheit kann nicht unbegrenzt – oder wie es oft heißt – schrankenlos sein. Wenn Freiheit nur für sich selbst in Anspruch genommen wird, wird anderen die Freiheit verwehrt. Das bedeutet, es braucht nicht nur Rücksichtnahme aufeinander, es bedeutet vor allem auch zu akzeptieren, dass andere sich anders kleiden, eine andere Religion haben, untereinander andere Sprachen sprechen. Oftmals spricht man dann davon, dass es nicht nur Toleranz braucht, sondern Akzeptanz.

Wo Freiheit ihre Grenzen findet, muss immer wieder neu bestimmt werden. Als die Freiheitsrechte erstmals im 18. und 19. Jahrhundert in Verfassungen verankert wurden, ging es vor allem um die Freiheit von staatlicher Unterdrückung. Dann ging es um die Frage, was es braucht, um Politik frei mitgestalten zu können. Mit der Zeit wurde Menschen aber bewusst, wie vor allem Frauen und Kinder – auch und gerade innerhalb von Familien – in Furcht leben und kaum eigenständige Entscheidungen treffen können. Ebenso hat man erkannt, wie große Wirtschaftsunternehmen Freiheit bedrohen und Menschen beschränken können. Heute wird vielen bewusst, dass Meinungsfreiheit nicht schrankenlos ist – Internet und soziale Medien verbreiten immer wieder in nie gekannter Schnelligkeit Vorurteile und Hass. Umgekehrt fragen sich viele heute, ob Freiheit nicht eingeschränkt werden müsse, um Sicherheit und Ordnung angesichts von Terrorismus zu erhalten.

Weil die Grenzen von Freiheit immer neu bestimmt werden, stehen Freiheitsrechte in der Verfassung unter einem Gesetzesvorbehalt. Das bedeutet, dass jedes Freiheitsrecht durch Gesetze näher geregelt werden kann, und dass diese auch Einschränkungen der Freiheit regeln können.

Was brauchen Menschen, um in Freiheit leben zu können?

Wer über die Grenzen von Freiheit spricht, muss auch darüber nachdenken, was Menschen brauchen, um ein Leben in Freiheit führen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass es nicht ausreicht, bloß die Freiheit von der Einmischung durch den Staat oder von körperlicher und psychischer Gewalt zu sichern. Freiheit braucht Rahmenbedingungen. Dazu gehört ein ausreichendes Maß an materieller Sicherheit – wer hungert, wer kein Dach über dem Kopf hat, kann nur eingeschränkt oder gar nicht über sein Leben bestimmen (siehe Text Sozialstaat). Dazu gehört Bildung und der freie Zugang zu ihr, die es Menschen möglich macht, ihre Freiheit einzufordern und verantwortungsvoll zu nutzen. Bildung braucht es auch, um mit den Anforderungen, die ein Leben in Freiheit mit sich bringt, umgehen zu können. Für ein Leben in Freiheit braucht es auch Sicherheit und Ordnung im Zusammenleben.

Das alles sind Mittel, die ein Leben in Freiheit unterstützen. Sie können aber nicht ausschließen, dass sich Menschen gegen andere wenden, dass sie Gewalt ausüben und freie Gesellschaften und Staaten zerstören wollen. Wenn wir in Freiheit leben wollen, müssen wir immer mit dieser Unsicherheit leben. Wenn in einer Demokratie über die Bedrohungen der Freiheit diskutiert wird, geht es daher um die Frage, wie Freiheiten gestaltet und unter Umständen beschränkt werden sollen. Es kann aber nicht darum gehen, dass Sicherheit mehr Bedeutung als Freiheit bekommt.

Freiheit und Verantwortung

Wenn Menschen frei von Furcht und Verfolgung leben können, können sie auch frei werden, sich und ihre Talente und Fähigkeiten zu entwickeln. Und sie werden frei, füreinander über den unmittelbaren Kreis ihrer Familie und ihres Freundeskreises hinaus zu sorgen. Sie können ihr Leben in Gemeinschaften, in der Öffentlichkeit (siehe Text Bildung, Medien, Öffentlichkeit) und im Staat, also in der Politik gestalten und Verantwortung füreinander übernehmen.

Freiheit und Verantwortung hängen eng zusammen. Wenn wir unsere Freiheit nutzen, dann wollen wir bewusst Entscheidungen treffen. Wir entscheiden uns, so und nicht anders zu leben und zu handeln. Das heißt aber auch, dass wir Verantwortung für unsere Handlungen übernehmen.

Wenn wir aber alles, was jemand tut, nur auf die Herkunft, die Tradition, die Familie oder das Umfeld zurückführen, dann drücken wir damit aus, dass ein Mensch nicht frei ist. Wir sagen damit: „Der kann gar nicht anders.“ Wenn wir damit beginnen – und viele Vorurteile gegenüber anderen Menschen enthalten solche Aussagen –, dann hören wir auf, andere als Menschen anzuerkennen, die frei und verantwortungsvoll handeln können.

Die Sicherung der Freiheit

Aus einer demokratischen Verfassung folgt der Auftrag, das Recht jedes Menschen auf ein Leben in Freiheit zu verwirklichen. Diese Verwirklichung erfolgt in einer großen Zahl von Gesetzen. Zu den wichtigsten gehört das Strafrecht, das Gewalt und Bedrohung in all ihren Arten verbietet. Dazu gehören die Gesetze, die das Handeln von Polizei, Verwaltung und Gerichten regeln und damit vor Verfolgung durch den Staat schützen. Andere Gesetze schützen Meinungsfreiheit und freie Medien, das Recht, sich zu versammeln und zu demonstrieren und Vereine zu gründen. Besonders wichtig ist auch das Ehe- und Familienrecht, dass die Freiheit, zu heiraten, wen man möchte, und die Freiheit, solche Verbindungen wieder zu lösen, regelt.

Freiheit und Unabhängigkeit

In der Verfassung gibt es aber noch ein weiteres Verständnis von Freiheit: Die Freiheit – gemeint ist Unabhängigkeit – des Staates von anderen und die Möglichkeit der Bürgerinnen und Bürger freie demokratische Entscheidungen zu treffen. Wie wichtig das ist, wird in den Bestimmungen der Bundesverfassung deutlich, die in Österreich besonders bekannt sind.

Das ist zum einen der Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger sollen sich frei an der politischen Meinungsbildung beteiligen können. Die Verfassung soll nicht anderem, etwa der Religion (siehe Text Religionsfreiheit), untergeordnet werden können.

Zum anderen ist es das Bundesverfassungsgesetz, mit dem sich Österreich 1955 als neutraler Staat erklärt hat. Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 verbinden viele Menschen in Österreich den Ausruf: „Österreich ist frei!“ Im Staatswappen, dem Bundesadler stehen seither die gesprengten (gerissenen) Ketten für die Freiheit. 1938 war Österreich – nach dem Anschluss – Teil des 3. Reichs geworden. Die Nationalsozialisten hatten bis 1945 die Macht. Sie wurden im 2. Weltkrieg besiegt, und die Alliierten (England, Frankreich, Sowjetunion und USA) befreiten Österreich und errichteten die Republik 1945 wieder. Bis 1955 war Österreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Befürchtung, dass es wie Deutschland geteilt würde, war groß. In langen Verhandlungen wurde erreicht, dass Österreich als demokratische Republik bestehen bleiben konnte. Dafür musste es sich bereit erklären, neutral zu bleiben und keinem Militärbündnis beizutreten.

Foto: Anna Konrath

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